CFP: Rahel Levin Varnhagens ›Denkblätter‹. Schreibformen und Kontexte
Submission deadline: September 6, 2024
Conference date(s):
June 2, 2025 - June 4, 2025
Conference Venue:
Germanistik, Universität Gießen, Universität Siegen
Rauischholzhausen,
Germany
Topic areas
Details
CfP: Rahel Levin Varnhagens ›Denkblätter‹. Schreibformen und Kontexte(06.09.2024)
Tagung 02.-04.06.2025, Schloss Rauischholzhausen
Organisation:
Dr. Elisabeth Flucher (Universität Siegen)
Dr. Daniela Henke (Universität Gießen)
Die Rahel Levin Varnhagen-Forschung stützte sich bis dato in all ihren sich wandelnden biographischen, kulturhistorischen –und neuerdings auch in ihren philosophischen und literaturtheoretischen –Interessen auf die Briefe der Salonnière und Autorin. Seit Levin Varnhagens Tod im Jahr 1833 wurden in zahlreichen Editionen unterschiedlich umfangreiche Teile ihrer Briefe und Briefwechsel herausgegeben. Aus den Briefen spricht eine Lustzum Dialog, zum Disput, zur Symphilosophie –die durch den intellektuellen Austausch stimulierte Produktion von Gedanken und Ideen.
Die kommentierte Edition von Rahel Levin Varnhagens Tagebüchern und Aufzeichnungen, die 2019 von Ursula Isselstein herausgegeben wurde, stellt einen Meilenstein in der Editionsgeschichte der Autorin dar. Sie bietetein reichesundfür die Forschung noch umfassend zu erschließendes Textkorpus, das einen anderen Blick auf das Werk derSalonnière und Briefschreiberin Rahel Levin Varnhagen zu eröffnen vermag. Ein ausführliches Nachwort, die ausführliche Kommentierung und das Register erleichtern den Zugriff aufeinäußerst diversesTextmaterial. Präsentiert werden in dieser Ausgabe insgesamt 13 Notizbücher sowie zahlreiche Konvolute, lose Blätter, Briefe und Vorlesungsmitschriften. Die meisten Eintragungen und Textentwürfe lassen sich auf die zweite Lebenshälfte der Autorin datieren, von ca. 1800 bis Endeder 1820er Jahre. Wurde bereits in den Briefeditionen, so auch bereits in der von Karl August Varnhagen besorgten Auswahlausgabe des Buchsdes Andenkens von 1834 (seit 2011 in neuer und erweiterter Edition vorliegend), ein enormes literaturkritisches Interesse sichtbar, lässt sich nun ein erweitertes und vollständigeres Bild der Lektüren und Studien Rahel Levin Varnhagens gewinnen, etwa durch ein Register ihrer Bibliothek.
Das Material der Tagebücher und Aufzeichnungenist reich nicht nur an Textsorten und Schreibformen (neben Briefen etwa Vorlesungsmitschriften, Tagebucheinträge, Traumprotokolle, Aphorismen, Lektürenotizen etc.) sondern auch mehrsprachig: So findet sicheine Vielzahl von französischsprachigen Textentwürfen, Briefen, Exzerpten sowie Übersetzungen ins Französische. Die Lektürenotizen, Exzerpte, Mitschriften und Übersetzungen verweisen auf eine intensiveRezeption, die sowohl Kanonisches wie auch weniger Bekanntes enthält. Gleichwohl zeugen diese Dokumente nicht ausschließlich von einer passiven Rezeptionshaltung, sondern vielmehr von großer Belesenheit, Bildung und Vernetzung. Es ist eine Rezeption, die zugleich eine ungeheure Schreibproduktivität anregt. Im Vergleich mit anderen kanonischeren Autor:innen der Frühromantik wird das Werk Rahel Levin Varnhagens häufig als sekundär und weniger bedeutend dargestellt. Im Bemühen um eine Revision dieser Forschungslage setzen wir denFokus auf die Philosophin und Denkerin und greifen daher auf ihre eigene Bezeichnung›Denkblätter‹ für ihre Tagebuchtexte zurück.
Die Schreibsituation der Tagebücher und Aufzeichnungen, die sich im Unterschied zum Brief weder an spezifische Adressat:innen noch an ein projiziertes Lesepublikum richten, lenkt den Fokus stärker auf das eigene Denken und Schreiben. Manche Vorlesungsmitschriften sind hingegen dialogisch angelegt und mit Kommentaren anderer Zuhörer:innen versehen. Wir wollendie vielfältigen Bezüge ihres Denkens gerade nicht ausblenden, sondern ein eigenständiges Denken inKontexten stark machen.
Das Material der Tagebücher und Aufzeichnungenwollen wir in der geplanten Tagung erstmals umfassend für die Forschung erschließen und zur Diskussion stellen. Dabei interessieren uns besonders folgende Fragestellungen und Themen:
- Rahel Varnhagens Netzwerke:Welches Netz intellektueller Bezüge lässt sich aus den Tagebüchern und Aufzeichnungenerschließen? Welche Autor:innen werden gelesen und übersetzt, kritisiert und kommentiert? Welche Vorlesungen hört Rahel Levin Varnhagen und wie werden diese kommentiert? Inwiefern ergänzen diese sehr gut datierbaren Vorlesungsdokumente das Bild der Rezeption, das sich aus den Briefen erschließen lässt? Gewünscht sind auch Beiträge über die Beziehungen zu einzelnen Autor:innen, wie z.B. A.W. Schlegel, Henrik Steffens, J.G. Fichte, Fr. Schleiermacher, Novalis, J.W. Goethe, Anne Louise-Germaine de Staël, Marie de Sévigné, Félicité-Stéphanie Genlis, Voltaire, Michel de Montaigne, Blaise Pascal, J.J. Rousseau, La Bruyère u.a.
- Epocheneinordnungen:Aufgrund der Salontätigkeit Levin Varnhagens und ihren Freundschaften mit den Literat:innen ihrer Zeit wird sie in der Forschung der Frühromantik zugeordnet. Ihre Beschäftigung mit Denkern wie Kant und Voltaire, mit den politischen Strömungen der Napoleon-Epoche und ihre dezidierte Ablehnung (spät)romantischer Tendenzen in der Literatur geben Anlass, diese Zuordnung zu überdenken. Wie lässt sich über die Bezüge, Kontexte und Rezeptionslinien eine Einordnung des Denkenszwischen den Epocheneinteilungen Spätaufklärung /Frühromantik / Vormärz vornehmen, die möglicherweise über bisherige Zuordnungen hinausgeht?Wie lässt sich ihrDenken ‚in Relationen‘aus den konkreten Lektüren, Exzerpten und Kommentaren erhellen?
- Schreibszene:Wie lässt sich das Schreiben der Tagebücher als Praxis bzw. als Schreibszene, besonders im Vergleich mit den Briefen, genauer fassen? Wie lässt sich dieses Schreiben im Spannungsfeld von Spontaneität und geistreicherKonversation, Ziellosigkeit einerseits und akribischerSchreibtischarbeitmitExzerpten, Lektürenotizen, Überarbeitungen andererseits einordnen? Wie wird diesespezifische Form der Gelehrsamkeitschreibend ins Werk gesetzt?
- Aphoristik:Wie lässt sich Rahel Levin Varnhagens Kunst der Aphoristik in den Kontext der anderen Schreibformen und Genres einordnen? Hat sie eine besondere Stellung, z.B. als bevorzugtes Medium philosophischen Denkens und Schreibens? Und wie lässt sich diese aphoristische Textproduktion in eine Tradition stellen, etwa zur französischen Moralistik, aber auch zu Zeitgenoss:innen wie etwa Lichtenberg, oder zu späteren Aphoristikern/Philosophen des 19. Jahrhunderts Nietzscheund Marie von Ebner-Eschenbach?
- Textsorten:Wie lassen sich die vielfältigen Textsorten innerhalb der Tagebücher und Aufzeichnungenmit der Diaristik-Forschung in Bezug setzen? Inwiefern werden durch einzelne Schreibformen und Genres die Grenzen des Begriffs ›Tagebuchs‹ überschritten oder laden zu einem Neudenken dieses Genres ein?
- Philosophie:Möglichesystematisch-begriffliche undthematische Schwerpunkte, um das philosophische Denken Rahel Levin Varnhagens näher zu beleuchten, wären etwa Freundschaft, Erziehung, Religion, Moral, Politik, Wirtschaft, Dichtung, Kultur, Nationen und Kriege.
Wir haben es mit einem Textcluster zu tun, das stärker die intellektuellen Prozesse der ›Selbstdenkerin‹denn der ›Symphilosophin‹Levin Varnhagen in den Blick rücken lässt. Mit diesem Material wurde eine neue Grundlage für die Forschung erschlossen, die wir in der geplanten Tagung aus philosophischer und diskursgeschichtlicher Perspektive beleuchten und diskutieren, mit bestehenden Forschungsfragen verbinden und neuen Forschungsfragen zuführen möchten. Ziel ist es, das Material der Tagebücher zu erschließen und das Textcluster unter verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten, um die Denkkontexte seiner Urheberin herauszuarbeiten und die Schreibformen jenseits der Briefe zu untersuchen.
Die Tagung wird im Zeitraum vom 02.–04.06.2025 auf Schloss Rauischholzhausenbei Gießen/Marburg stattfinden. Wir bemühen uns um eine Übernahme der Kosten durch Drittmittelgeber.
Beitragsvorschläge von ca. 1 Seite sowie eine bio-bibliographische Notiz sind bis 06. September 2024, an folgende Emailadressen zu übermitteln:
Über die Annahme der Beiträge und die Bewilligung des Drittmittelantrags werden wir zeitnah informieren.